Vom Hobby zum Beruf, der Wichtigkeit von realitätsnahem Training, um Bestleistung im Bedarfsfall abzurufen und Zivilcourage. Das waren meine Beweggründe, dieses Gespräch mit einem Experten auf dem Gebiet der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung zu führen:
Panagiotis Kostopoulos, 35 Jahre, Hauptfeldwebel, Nahkampfausbilder und 5. Meistergrad im Wing Tsun.
Der Begriff "Leistung" oder auch auf Neudeutsch "Performance", begegnet heutzutage fast jedem und überall. Im aktuellen Koalitionsvertrag kommt er auf 179 Seiten 109 Mal vor. Nicht selten wird er in unserer heutigen Gesellschaft auch als Angstbegriff benutzt und erlebt. Doch wie schafft man es bei allem Erwartungsdruck tatsächlich Leistung zu erbringen und sichtbar zu machen?
"Von der Kampfkunst Wing Tsun zur Bundeswehr oder von der Bundeswehr zur Kampfkunst Wing Tsun? Wie erlangt man diesen Beruf?"
"Kampfsport und Kampfkunst übten schon früh in meiner Jugend eine gewisse Faszination auf mich aus. Im Alter von 10 Jahren habe ich es mit einem Karatekurs versucht. Aus verschiedenen Gründen blieb ich dort nicht lange und wechselte dann zu einem Handballverein. Final war dann der Besuch einer Party die treibende Kraft, mich noch einmal dem Thema Kampfkunst zu widmen. Dort wäre es beinahe zur Eskalation gekommen und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich mich in einem „Ernstfall“ eventuell nicht verteidigen kann. Nach zahlreichen Probetrainings in verschiedenen Kampfsportarten bin ich zum Wing Tsun gekommen. Das erste Training hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen und es folgte meine Anmeldung. Nach einiger Zeit durfte ich weniger erfahrene Schüler trainieren, was mir außerordentlich viel Spaß bereitete. Nun kollidierten zwei Leidenschaften: das Trainieren/Lehren, eventuell als Sportlehrer an einer Schule und mein Wunsch zur Polizei zu gehen. Nach meinem Zivildienst entschied ich mich zunächst für ein Lehramtsstudium. Nebenberuflich arbeitete ich als Türsteher. Hier lernte ich unter anderem, wie man heikle Situationen im ersten Moment auch verbal deeskalieren kann.
Durch Zufall verfolgte ich im Fernsehen einen Bericht über die Militärpolizei der Bundeswehr. Ich war fasziniert und wusste ab diesem Moment, was ich wollte. Trotz meines vorher geleisteten Zivildienstes, holte ich mir Informationen ein. Ich bewarb mich, bestand den Einstellungstest und nach 3 Jahren beendete ich meine Ausbildung. Im Anschluss wurde ich zum Personenschützer ausgebildet; später folgte ein siebenmonatiger Auslandseinsatz, in dem ich praktische Erfahrungen sammeln konnte. Neben meinem Wing Tsun Training erhielt ich auch Unterricht in Einsatztechniken der Militärpolizei und lernte im Laufe der Jahre verschiedene Kampfsportdisziplinen kennen. Seit 2013 arbeite ich Einsatztrainer für die Militärpolizei und bilde den Nachwuchs, angehende Personenschützer und weitere Personengruppen in Einsatztechniken aus."
"Wie erleichternd/erschwerend ist es, wenn es eine Verbindung zwischen Beruf und Hobby/Leidenschaft gibt?"
"Es ist ein Geschenk. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen und gebe jeden Tag mein Wissen weiter. Vor 5 Jahren habe ich zusammen mit meinem besten Freund eine eigene Schule für Selbstbehauptung und Selbstverteidigung eröffnet. Um diesen Workload bewerkstelligen zu können, höre ich auch auf meinen Körper und lasse ihm die nötige Entspannung zukommen. Trotz zeitweiser eingeschränkter Freizeit, besuche ich verschiedene Seminare, um mein Wissen, meine Fähigkeiten und Fertigkeiten stetig zu erweitern. Die Vermischung von Hobby und Beruf befruchtet sich zudem auch noch gegenseitig, so dass am Ende alle profitieren: Unsere Soldaten im Unterricht sowie unsere Schüler der Wing-Tsun-Schule. Ich kann nur dazu ermuntern, sein Hobby zum Beruf zu machen, sofern es machbar ist."
"Wie sieht der Alltag eines Hauptfeldwebels/Nahkampfexperten/Ausbilders aus? Wie sieht das eigene Training aus?"
"Es kommt darauf an, welcher Truppengattung er angehört und welchen Dienstposten er bekleidet. Das auszuführen würde den Rahmen sprengen. Für meinen Bereich sieht ein Tag aber für gewöhnlich wie folgt aus:
Ich stehe um 05:00 Uhr auf und gehe mit meinem Hund eine Stunde durch den Wald. Danach fahre ich zum Dienst. Mein erster Weg führt mich dann meist in den Kraftraum bzw. in meine Trainingshalle, wo ich mein Training absolviere. Ist dies erledigt, genehmige ich mir den ersten Kaffee des Tages und freue mich über die morgendliche Ruhe auf der Arbeit. Um 07:30 Uhr erscheinen die ersten Teilnehmer zum Training. Nach einer Mittagspause geht es bis ca. 16:30 Uhr weiter mit dem Unterrichten. In den unterrichtsfreien Zeiten trainiere ich mit meinen 3 Kollegen, die den gleichen Job wie ich ausüben. Wir trainieren sowohl unsere Einsatztechniken, als auch verschiedene andere Kampfsportarten."
"Welche Attribute und Elemente sind unabdingbar für das Training und die Vorbereitung von Soldaten?"
"Meiner Erfahrung nach ist der Wille zur Leistung entscheidend. Man kann mit ungünstigen physischen oder psychischen Voraussetzungen starten, aber mit dem festen Willen zur Leistung am Ende vieles erreichen. Dazu ist Training notwendig. Dieses muss intensiv und immer wiederkehrend sein. Man muss es in sein Leben integrieren, dann hat man gute Chancen, in schwierigen Situationen zu bestehen. Hat man eher die Auffassung, ein kleiner Selbstverteidigungskurs, so wie er oft in der zivilen Welt angeboten wird, könnte reichen, um gewappnet zu sein, wird spätestens in einer realen Bedrohungslage eines Besseren belehrt. Der Wille implementiert somit auch Attribute wie Haltung, Motivation und Resilienz."
"Eure Teilnehmer können in verschiedene brenzlige Situationen geraten. Wie praxisnah wird trainiert, welche Hilfsmittel kommen zum Einsatz?"
"Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen und dürfen, das Training orientiert sich an realen Situationen und ist mit enormem Einsatz verbunden. Man trainiert relativ früh mit richtiger Schutzausrüstung und lernt, wie es sich anfühlt, Schlägen und Tritten hilflos ausgesetzt zu sein. Dies geschieht natürlich alles kontrolliert. Verletzungen sind äußerst selten, wenn man den Anweisungen der Einsatztrainer folgt. Der Soldat soll die Angst und die Hemmungen vor Auseinandersetzungen verlieren. Gleichzeitig muss und soll er sich im Rahmen gültiger Rechtsnormen bewegen, denn schließlich repräsentiert er den Staat in Ausübung seiner Pflicht. Daher muss eine Ausbildung auch in Teilen unter Stress stattfinden. So lernt ein Mensch auch in kritischen Situationen seinen klaren Kopf zu bewahren. Ist dieser Part absolviert und erfüllt, folgt im weiteren Verlauf das Einüben verschiedenster Situationen, wie die Abwehr gefährlicher Gegenstände, wie z.B. Stock und Messer, oder aber auch Befreiungen, Hebeltechniken, Kampf gegen Mehrere oder spezielle Einsatztechniken für den Personenschutz oder der Luftsicherheit. Die Königsdisziplin ist das Handlungs- und Verhaltenstraining, in dem ein Soldat verschiedene Situationen unter Berücksichtigung von Körpersprache, Rhetorik, Rechtsnormen und in letzter Instanz, Anwendung körperlicher Gewalt durchlaufen muss."
"Ich erlebe oft selbst auf professioneller Sportebene, dass ineffizient trainiert wird. Die psychologische und mentale Komponente wird außen vorgelassen oder man misst ihr eine zu kleine Bedeutung bei. Wie trainiert ihr Stress, mentale Erschöpfung, ggfs. Angst?"
"Unsere Praxiserfahrungen zeigen, dass ein professionell und realitätsnah durchgeführtes Training am vielversprechendsten ist. Will man Erfolge erzielen, müssen die Teilnehmer sorgsam darauf vorbereitet werden. Wir stellen sie vor Herausforderungen und beobachten genau, wo Probleme und Komplikationen bei der Bewältigung entstehen, um diese im Anschluss zu analysieren. Dabei werden Lösungs- und Optimierungsansätze erarbeitet. Wichtig ist dabei die ständige Wiederholung dieser Situation, um die erarbeiteten Lösungsvorschläge oder Verbesserungen auf Anwendbarkeit zu überprüfen. Wir sind in der Position, spezielle Infrastruktur zu besitzen und nutzen für solche Art von Trainings einen hochmodernen Trainingsraum. Hier können wir nach Belieben Elemente, die Stress produzieren, einbeziehen und hinzufügen. Man kann diesen Raum komplett abdunkeln und nur kleine Lichtquellen benutzen. Eine Nebelmaschine kann genauso wie die dazugehörige Musikanlage genutzt werden, um während des Trainings alle Wahrnehmungskanäle herauszufordern. Da dieser Raum bei Bedarf videoüberwacht werden kann, bietet sich hier die unschlagbare Möglichkeit, Szenarien im Anschluss genau auszuwerten und lückenlos zu besprechen. All diese Elemente können helfen, eine gewisse Stressresilienz zu entwickeln bzw. unter Hochdruck noch einsatzfähig zu sein. Da jeder Mensch jedoch einzigartig ist und anders mit Stress umgeht und diesen verarbeitet, muss in diesem Bereich weiter geforscht und ausprobiert werden. Das echte Erleben von Gefahr gibt die besten Rückschlüsse auf die eigene Handlungsfähigkeit."
"Die Presse berichtet immer öfter, dass Übergriffe auf Rettungs- und Sicherheitskräfte stattfinden. Welche Verhaltensweisen könnten dem entgegenwirken?"
"Eigenschaften wie Loyalität, Höflichkeit und vor allem Respekt scheinen mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein. Ich male die Welt nicht schwarz und sehe auch das Gute in ihr. Verfolgt man jedoch die Zahl an Übergriffen und Gewalttaten auf meist schwache, hilflose, aber auch helfende Menschen, kommt man nicht drum herum, die aktuelle Situation in Frage zu stellen. Angriffe auf Vollzugsbeamte gab es schon immer. Auffällig ist die Tatsache, dass vor allem bei Jugendlichen der Respekt vor Autoritäten, wie zum Beispiel Polizeibeamten, oftmals komplett verloren gegangen ist. Was mich aber zutiefst erschreckt, ist die immer wachsende Anzahl von Angriffen auf Rettungskräfte, wie Sanitäter, Ärzte usw. Menschen, die durch die Ausübung ihres Berufes das Leben anderer, in welcher Form auch immer, retten. Diese Logik erschließt sich mir überhaupt nicht. Mir fehlt jegliches Verständnis für solche Taten. In unserer Wing-Tsun-Schule achten mein Trainerteam und ich in unseren Kindertrainings darauf, nicht nur Selbstverteidigungstechniken zu vermitteln, sondern auch Werte mitzugeben. Diese werden in Prüfungen abgefragt und auch trainiert. Dazu zählen insbesondere Respekt, Hilfsbereitschaft und Zivilcourage. Wir erhoffen uns dadurch langfristig einen Unterschied zu machen und ich ermutige auch mein Umfeld diesem Beispiel zu folgen. Auch wenn es sich manchmal anfühlt, dass diese Maßnahmen ein Tropfen auf den heißen Stein sind, denke ich dennoch, dass es wichtig ist, kontinuierlich weiter zu machen, wenn man Erfolge erzielen will."
"Vielen Dank an Panagiotis Kostopoulos!"
Es ist unerheblich auf welchem Gebiet die bestmöglichste Leistung erforderlich ist. Es gibt Attribute und Verhaltensweisen, die allgemeingültig sind, überall. Disziplin, Wille, Durchhaltevermögen, aber auch realitätsnahe Vorbereitung und Beharrlichkeit sind Eckpfeiler und Garanten für den Erfolg. Ob im Büro, im Ring oder auf dem Spielfeld. Widme dich den richtigen Dingen und wende die Dinge richtig an!
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