Ilias Moschos betreut sowohl Leistungs- als auch Amateursportler. Sein Rat geht über Durchhalte-Parolen hinaus.
Essen. Der Trainingsbetrieb ruht, Meisterschaftsspiele und Wettkämpfe werden nicht ausgetragen, der Kontakt zu anderen Athleten findet nicht statt. Die Ausbreitung des Coronavirus hat Mannschafts- und Einzelsportler hart getroffen. Der Krefelder Ilias Moschos erklärt, wie Betroffene mit dieser besonderen Situation umgehen sollten. Der 53-jährige ist Sportpsychologe und systemischer Coach. Er berät zahlreiche Leistungs- und Amateursportler, darunter vor allem Fußballer und Kampfsportler. Zudem coacht er unter anderem Mitarbeiter großer Unternehmen wie Daimler, Volkswagen und BMW.
"Herr Moschos, wie sieht aktuell Ihr Arbeitsalltag in Bezug auf Ihre Athleten aus?"
Ilias Moschos: "Es ist aufgrund der Ausbreitung des Virus schon eine Weile so, dass ich ausschließlich telefonischen Kontakt zu meinen Klienten habe. Da mich die meisten schon eine lange Zeit kennen, ist ein Vertrauensverhältnis entstanden. Das hilft bei der Arbeit.
"Mit welchen Fragen sehen Sie sich konfrontiert?"
"Mit vielen Athleten ordne ich zunächst einmal die Situation ein. Daher sind es in erster Linie grundsätzliche Fragen, wie die nach der Nachvollziehbarkeit der getroffenen Maßnahmen."
"Was raten Sie Sportlern, die aktuell allein trainieren müssen?"
"Es geht darum, die eigene Perspektive zu verschieben. Der Athlet kann den Fokus auf den Mangel richten oder auf das, was er hat oder noch bekommen kann. Es geht darum, die Liebe zu dem neu zu entdecken, was man hat und was man macht, statt darauf zu schauen, was fehlt. Das gilt für Profi-Sportler, Trainer, Amateure. Kurzum: Wir müssen lernen zu lieben, was wir tun.
"Wie wichtig sind Ziele für einen Athleten?"
"Prinzipiell sind Ziele und Visionen eine prima Sache. Viele vergessen dabei aber Gewohnheiten. Es bringt ja nichts, wenn ich davon träume, die Champions League zu gewinnen, aber zum Beispiel nicht auf meine Ernährung oder meine allgemeine Fitness achte. Jetzt ist die Zeit, genau diese Dinge in Ruhe zu durchleuchten und zu hinterfragen. Das klingt nicht spektakulär, aber das muss es auch nicht sein. Ich komme noch einmal auf den von mir angesprochenen Perspektivwechsel zurück: Es ist eines der Geschenke dieser Zeit, dass wir uns mit grundlegenden Gedanken befassen können.
"Gibt es hinsichtlich des Umgangs mit dieser Situation einen Unterschied zwischen Einzel- und Mannschaftssportlern?"
"Nein, in der Regel nicht. Denn auch ein Einzelsportler hängt an einem Team. Nehmen wir einen Ringer: Der steht zwar allein auf der Matte, aber er hat in der Regel einen Trainerstab, einen Physiotherapeuten und weitere Helfer. Der Einzelsport unterscheidet sich vom Mannschaftssport nur beim Leistungsgedanken. Ein Team kann schließlich die Leistung eines formschwachen Mitglieds kompensieren, ein Einzelsportler kann das nicht."
"Was raten Sie Mannschaftssportlern für die Kommunikation mit ihren Kollegen während der Zwangspause?"
"Die Kommunikation läuft derzeit ja vornehmlich virtuell, also in Gruppen-Chats. Doch auch darüber kann ein Sportler Negativität ausstrahlen und verbreiten. Das kann Missstimmung erzeugen, was wiederum ein Teamgebilde kollabieren lassen kann. Jeder Mensch – und auch das ist ein solidarischer Gedanke – muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Verhalten Auswirkungen hat. So schwer es auch fällt: Eine realistisch positive Grundhaltung ist derzeit ein guter Ratgeber."
"Welchen Aspekt spielt das Geld? Schließlich drohen finanzielle Einbußen."
"Da muss man klar unterscheiden: Einem Viertliga-Spieler, für den das Fußballer-Gehalt die größte Einnahmequelle ist, hilft kein positives Denken. Er muss sich jetzt mit seiner Situation befassen und die Frage beantworten, was er aktiv für seine aktuelle Situation tun kann. Das ist höchst unterschiedlich. Dennoch wirft diese Situation eine andere Frage auf."
"Welche?"
"Die nach der Solidarität. Ein Bundesliga-Profi, dessen wirtschaftlicher Schaden sich in Grenzen halten wird, sieht jetzt womöglich, wie viele weitere Jobs an seinem hängen. Würstchenverkäufer, Bierverkäufer, Stadionordner – diese Menschen haben nun große Probleme, sollten aber die Solidarität der Großverdiener erfahren, wie es schon zu Teilen auch passiert. Allein diese Situation zeigt aber, wie fragil das ganze System ist. Da kommt ein Virus um die Ecke, und alles droht zu kollabieren. Da wir aktuell Zeit haben: Jetzt ist ein toller Moment, um über dieses System nachzudenken – auch unter Berücksichtigung der Solidarität."
"Sehen Sie denn auch positive Aspekte in dieser Situation?"
Durchaus, auch wenn der Hintergrund nicht positiv ist. Jeder, der fit und gesund ist, hat die Gelegenheit, sich solidarisch für die Gemeinschaft einzusetzen. Was noch hinzukommt: Viele von uns sind selten zu Hause, sehen ihre Familien, Partner oder Kinder nicht so häufig. Es ist von Vorteil, wenn man diese Situation bewusst genießen kann."
Das Interview führte Dominik Hamers